mobile Navigation
KLEIST MUSEUM DIGITAL

Empfehlen

Drucken

Sitemap

Kleist-Symposium

Durchgeführt von der Evangelischen Stadtakademie Bochum und dem artENSEMBLE THEATER

Bochum
5. und 6. November 2011


Weißt Du nichts?
Siehst Du nichts?
Erinnerst Du Dich an nichts? 

Heinrich von Kleists "Käthchen von Heilbronn" - Die Krise des Individuums in der Moderne und spirituelle Perspektiven 

Referenten: Jutta Barth, Klaus Engeroff, Jürgen Larys (Leitung), Arno Lohmann,
Dr. Manfred Osten, Denise Roth

Programm:

Samstag, 5. November

12:00 Uhr Mittagessen

13:00 Uhr "Verlorene Unschuld"
Lesung Heinrich von Kleist "Über das Marionettentheater"
Klaus Engeroff

13:15 Uhr Begrüßung und Einführung:
Arno Lohmann, Jürgen Larys

13:30 Uhr "Kleist – unser Zeitgenosse?"
Krise als biographisches Prinzip – Zum Leben Heinrich von Kleists
Denise Roth

14:15 Uhr Aussprache

14:30 Uhr "Siehst Du nichts?"
Heinrich von Kleist: Irrtum und Wahrheit, Kant-Krise und Herzensahnungen
Klaus Engeroff

15:15 Uhr Aussprache

15:30 Uhr Kaffee und Kuchen

16-18:00 Uhr "Der inneren Stimme folgen" (Teil I)
Heinrich von Kleists "Käthchen" und die verschlungenen Wege der Selbstfindung
praktisches, künstlerisches Seminar
Jutta Barth

18:15 Uhr Essen

20-22:00 Uhr Aufführung "Das Käthchen von Heilbronn"
artENSEMBLE THEATER

Anschließend Möglichkeit zur zwanglosen Begegnung


Sonntag, 6. November

09:00 Uhr Andacht / Meditation
Pfarrer Arno Lohmann

09:20-11:00 Uhr "Der inneren Stimme folgen" (Teil II)
Fortsetzung und Abschluß des Prozesses vom Vortag
Jutta Barth

11:15 Uhr "Weißt Du nichts?"
Heinrich von Kleists "Käthchen von Heilbronn": Epiphanie und spirituelle Perspektiven
Jürgen Larys

12:00 Aussprache

12:15 Mittagessen

13:15 "Erinnerst du dich an nichts?"
Heinrich von Kleist und der Gedächtnisverlust der Moderne
Dr. Manfred Osten

14:00 Aussprache und Schlussdiskussion

15:00 Ende des Symposiums


Weißt Du nichts? Siehst Du nichts? Erinnerst Du Dich an nichts?

Diese Zeilen stammen aus T.S. Eliots bahnbrechend-modernem Gedicht "The Waste Land / Das Wüste Land" von 1922 und könnten so doch auch in Kleists "Käthchen von Heilbronn" stehen: "Erinnerst Du dich an nichts?" fragt auch der Graf Wetter vom Strahl das sprachlose Käthchen, er, der seinerseits von einer Amnesie befallen zu sein scheint. Verwirrung, Gedächtnisverlust und Krise des Individuums in der Moderne nachzuspüren, wie sie in Kleists Biografie und Werk früh durchlitten scheinen, aber auch spirituelle Perspektiven aufzuzeigen, wie sie ebenfalls in Kleists Werk immer wieder aufleuchten, ist Anliegen dieses Symposiums. Dabei werden verschiedene Formen angeboten: Von Vorträgen, Diskussionen über das Anschauen einer Aufführung des "Käthchen von Heilbronn" bis zur persönlichen praktisch-künstlerischen Durchdringung des Themas durch die TeilnehmerInnen.

Über das Marionettentheater, Kleists vom 12. bis 15. Dezember 1810 in vier Abschnitten in den "Berliner Abendblättern" veröffentlichte kurze Erzählung, schlägt ein erstes zentrales Thema unseres Symposiums an: Der Verlust von Unschuld und Grazie und damit verbundene Missgriffe, "seit wir vom Baum der Erkenntnis gegessen haben. Das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist." Lesung mit Klaus Engeroff.

Würden Sie einen Selbstmörder als Lebensberater engagieren? Der Grund, warum wir in diesem Jahr ein großes Kleist-Jahr feiern, scheint zunächst ein trauriger und ambivalenter: vor 200 Jahren erschossen sich am Kleinen Wannsee in Berlin in einem spektakulär inszenierten Doppelselbstmord der Dichter Heinrich von Kleist und die todkranke Henriette Vogel. In Kleists Abschiedsbrief an seine Halbschwester Ulrike steht: "Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war." Und doch ging wohl selten jemand in einer so "unaussprechlichen Heiterkeit" in den Tod wie Heinrich von Kleist (gleicher Brief!). Eine Biographie der permanenten Krise und des Scheiterns? Oder doch Licht am Ende des Tunnels? Denise Roth zeigt in ihrem Vortrag "Kleist -unser Zeitgenosse?", was an Kleists Leben so herzzerreißend modern sein könnte und spürt dem Spannungsverhältnis zwischen Werk und Vita nach.

"Wenn alle Menschen statt der Augen grüne Gläser hätten, so würden sie urteilen müssen, die Gegenstände, welche sie dadurch erblicken, sind grün."
In diesem Satz kulminiert die tiefe Krise des Frühjahrs 1801, in die Heinrich von Kleist die Lektüre der Philosophen Immanuel Kant, vielleicht auch Johann Gottlieb Fichte gestürzt hatte: was heute Gemeinplatz der Hirnforschung ist, dass nämlich unsere Sinne uns nur unzureichende Daten liefern, die wiederum von unserem Gehirn auf höchst zweifelhafte Weise interpretiert werden, uns ein objektives Erkennen der Wirklichkeit also nicht möglich ist, stürzte Heinrich von Kleist in eine tiefe Krise, die sich in seinem gesamten Werk widerspiegelt: die Welt verwandelt sich in ein albtraumhaftes Szenario voller Fehldeutungen, in der Orientierung und Erkenntnis der Wahrheit zunehmend unmöglich scheinen. Und doch liefert Kleist auch hier Gegenentwürfe: wo der Verstand irre wird, wird das Herz gerade seiner Protagonistinnen wie Käthchen zum zentralen Erkenntnisorgan. "Siehst Du nichts?" Vortrag mit Klaus Engeroff.

Nach diesen beiden Vorträgen lädt Jutta Barth zu einer spielerischen Reise durch die eigene Biografie ein, inspiriert von Themen und Figuren-konstellationen des "Käthchen von Heilbronn":"Der inneren Stimme folgen" schließt auf praktische Weise an das Thema des vorangegangenen Vortrages an, Herz und Intuition wieder stärker in das Zentrum unserer Entscheidungsfindung rücken zu lassen. Arbeit mit bereit gestellten Materialien für jedermann und jedefrau. (Hinweis: Kenntnis des Stückes "Das Käthchen von Heilbronn" vor Beginn des Seminars ist nicht zwingend notwendig.)

"Kleist zu inszenieren, stellt für Regisseur und Schauspieler eine große Herausforderung dar. "Das Käthchen von Heilbronn" mit nur zwei Schauspielern auf die Bühne zu bringen, das kommt der Quadratur des Kreises gleich. Jürgen Larys und Susanne Hocke wagten und schafften das Unmögliche – und boten dem Publikum einen unvergleichlichen Theaterabend."
Mögen sich diese Worte des Kritikers der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (Lünen) vom 17. März 2011 auch an diesem Abend bewahrheiten!
Kleists vorletztes Theaterstück "Das Käthchen von Heilbronn", genau 201 Jahre zuvor im Theater an der Wien uraufgeführt, zeigt anhand des Grafen Wetter vom Strahl die Verwirrung des modernen Menschen, aber auch Heilungsperspektiven in der Begegnung mit dem von Herzensahnungen auf die Spur gebrachten Käthchen unter freundlicher Mitwirkung des Cherubim: er, der den einfachen Weg zurück ins Paradies vereitelt und die Erkennenden durch die Welt treibt (über das Marionettentheater) ist es auch, der die Liebenden zueinander führt und den Stein der Erkenntnis der Wahrheit als Akt der Aufklärung ins Rollen bringt ... Eine Aufführung des artENSEMBLE THEATERs. Siehe auch: Repertoire – Das Käthchen von Heilbronn

"Weißt du nichts?" Da wo die Not am größten ist, ist auch die Hilfe bereit: Diese religiöse Urerfahrung, die in der Kirche 14 Heiligen (bei Bamberg) ihren barock-sinnlichen Ausdruck findet, scheint auch im "Käthchen von Heilbronn" zentrales Element zu sein: Der todkranke Graf Wetter vom Strahl wird vom Cherubim in einer nächtlichen Astralwanderung in die Kammer des Käthchen von Heilbronn geführt. Indem er diese zunächst nur unbewußt in Käthchens Holunderbusch-Traum gespeicherte Wahrheit in sein Bewusstsein rückt und durch die Nachforschungen der kaiserlichen Kommissare erhärtet, sind Heilung und Lösung möglich. Jürgen Larys möchte Heinrich von Kleist hier nicht etwa nachträglich für das Christentum reklamieren, sondern spirituellen Schnittpunkten mit verschiedensten geistigen überlieferungen nachspüren und zeigen, wie Kleists Werk immer wieder auch Hoffnung macht – wenn wir es denn ernst nehmen ...

"Erinnerst du dich an nichts?" Immer wieder leiden Kleists Figuren an Gedächtnisverlust: Fassungslos steht der Graf Wetter vom Strahl mit dieser Frage vor Käthchen, er, der sich im Laufe des Stückes mehrmals nicht einmal an das erinnern wird, was er vor wenigen Minuten gesagt und getan hat: "Was macht die Peitsche hier?" fragt er, nachdem er sie augenblicks zuvor selbst genommen und gegen Käthchen erhoben hatte … Dr. Manfred Osten zeigt auf, wie uns unser Gedächtnis immer wieder – auch zur Vermeidung narzisstischer Kränkungen – einen Streich spielt, wie es gerade im digitalen Zeitalter zunehmend bedroht ist und wie wichtig ein intaktes Gedächtnis zur (Wieder-) Erlangung einer personellen und kulturellen Identität ist.


Kosten: 59,- Euro inklusive aller Eintritte und Mahlzeiten

Anmeldung:

Evangelische Stadtakademie Bochum
Klinikstrasse 20
44791 Bochum
office@stadtakademie.de
www.stadtakademie.de
Tel.: 0234 – 598 69
Fax: 0234 – 595737